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Leistungsfähigkeit der Sicherheitswirtschaft in der Krise

Von Stefan Ferchau und Prof. Dr. André Röhl.

Umfrage zu den Erfahrungen der Sicherheitswirtschaft in der Corona-Pandemie. Ziel des zugrundeliegenden Working-Papers ist die Betrachtung der Rolle der Sicherheitswirtschaft in Deutschland im Rahmen der Corona-Krise. Dazu wurde durch die Autoren eine Umfrage unter Führungskräften aus Unternehmen der Sicherheitswirtschaft durchgeführt, deren Ergebnisse hier vorgestellt werden.

Die Auswirkungen der Krise werden diskutiert und Schlussfolgerungen zur weiteren Entwicklung der Branche an sich abgeleitet. Zugleich wird auch die Rolle der Sicherheitswirtschaft in der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik und bei der Bewältigung von Krisen betrachtet.

Die Sicherheitswirtschaft in Deutschland
Der Begriff Sicherheitswirtschaft wird im Folgenden für alle Formen der privatwirtschaftlichen, nicht behördlichen Erbringung von Sicherheitsdienstleistungen, auch in Verbindung mit der Erstellung und dem Vertrieb relevanter Produkte, verwandt. Er umfasst damit zum einen Dienstleistungsunternehmen, zum anderen auch die unternehmenseigene Sicherheit sowie Sicherheitstechnikunternehmen, Beratungen und Aus- und Weiterbildungseinrichtungen.

Eine derart beschriebene Sicherheitswirtschaft spielt eine wichtige Rolle in der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland. Dies betrifft zum einen die privaten Sicherheitsunternehmen, die nach Feststellung der Innenministerkonferenz 2009, „ein wichtiger Bestandteil der Sicherheitsarchitektur“ sind. Zugleich betrifft dies auch die Unternehmenssicherheit, zumindest im Hinblick auf den Schutz
Kritischer Infrastrukturen.Die Bedeutung der Sicherheitswirtschaft hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Belege für diesen Zuwachs finden sich insbesondere im Anstieg der Mitarbeiterzahlen der Sicherheitsdienstleistungsunternehmen, wenngleich diese durch strategische Unternehmensentscheidungen der Auftraggeber (z.B. Outsourcing) beeinflusst sein könnten.

Insgesamt haben aber auch die Aufgabenbereiche und Einsatzgebiete in den Unternehmen über den klassischen Schutz von Unternehmen hinaus zugenommen. Dies hat sowohl mit einem veränderten Sicherheitsverständnis, aber auch mit neuen Risiken zu tun – im Bereich der Unternehmenssicherheit etwa durch die Präsenz in anderen Ländern als Folge der Globalisierung, aber auch durch technische Entwicklungen im Bereich der Informationstechnologien.

Dieser Bedeutungszuwachs der privaten Sicherheitswirtschaft ist nicht unumstritten. Dabei wird zum einen die Abgrenzung zu behördlichen Befugnissen, zum anderen die Qualität und Zuverlässigkeit privater Akteure hinterfragt. In der Diskussion wird darauf verwiesen, dass eine bessere Qualität eine größere Zahlungsbereitschaft der Kunden für das Gut Sicherheit erfordere. Die bisherigen typischen
Qualifizierungsanforderungen nach § 34a GewO werden allgemein als nicht ausreichend betrachtet. Gleichzeitig besteht die Befürchtung, dass selbst diese durch unechte Nachweise umgangen werden; ein entsprechend eingerichtetes zentrales Bewachungsregister zur transparenten Nachweisführung hat seit Monaten mit technischen Problemen zu kämpfen.

Einen Durchbruch erhoffen sich viele beteiligte Akteure in diesem Zusammenhang durch das im Koalitionsvertrag 2018 angekündigte „Sicherheitsdienstleistungsgesetz“, mit welchem die Anforderungen an Unternehmen konkretisiert und auf die gesamte Sicherheitswirtschaft übertragen werden sollen. Ein Jahr vor Ablauf der Legislaturperiode scheinen die entsprechenden Schritte im Gesetzgebungsprozess – auch trotz des vollzogenen Ressortwechsels vom Bundeswirtschafts- zum Bundesinnenministerium – allerdings noch nicht weit vorangeschritten.

Im Hinblick auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie für die Legislative scheint ein Abschluss eines Gesetzgebungsverfahrens aktuell unwahrscheinlich. Allerdings gibt es auch andere Gesetze, welche die private Sicherheitswirtschaft beeinflussen. Dazu zählt das Gesetzespaket zu den Unternehmenssanktionen, dessen Anforderungen an Unternehmenczur Verhinderung doloser Handlungen letztlich nur im Rahmen eines umfassenden unternehmenseigenen Sicherheitsmanagementkonzeptes umgesetzt werden können.

Auswirkungen der Corona-Krise
Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus führen seit März 2020 zu einer Vielzahl von Einschränkungen für Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland. Über mehrere Wochen mussten bzw. müssen Unternehmen ihren Geschäftsbetrieb gänzlich einstellen oder mit verringerter Beschäftigtenzahl bzw. dislozierten Mitarbeitern weiterführen. Im Bereich des Groß- und Einzelhandels waren zeitweise bis zu 75 Prozent aller Unternehmen zumindest zeitweise geschlossen.Veranstaltungen, Konzerte oder vergleichbare Ereignisse wurden abgesagt. Gleichzeitig nahm die Bedeutung anderer Einrichtungen und Unternehmen in der Krise deutlich zu. Supermärkte oder Krankenhäuser wurden in besonderem Maße „systemrelevant“.

Es ist davon auszugehen, dass sich die Pandemie und die beschlossenen Einschränkungen in mehrfacher Hinsicht auch auf die Sicherheitswirtschaft auswirken. So sind Dienstleistungen im Gegensatz zu produzierten Gütern nicht lagerfähig und ein Einbruch der Nachfrage z.B. aufgrund der Absage von Veranstaltungen wirkt sich unmittelbar auf die Unternehmen aus. Zugleich beinhalten Sicherheitsdienstleistungen üblicherweise ein hohes Maß an Kundenkontakt, wodurch bei stattfindenden Aufträgen für die Mitarbeiter ein erhöhtes Risiko der Ansteckung entstehen könnte.

Medienberichte aus der Anfangsphase der Pandemie in Deutschland wiesen auf über hohe Krankenstände in Sicherheitsunternehmen hin, die eine Weiterführung von Aufträgen in Frage stellen könnten.Im Zusammenhang mit der Diskussion um unterstützende Maßnahmen der Bundeswehr im Zuge von Amtshilfe wurde ebenfalls auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die Bundeswehr den Objektschutz für Kritische Infrastrukturen übernehmen könne, wenn die Aufgabenwahrnehmung durch die Unternehmenssicherheit bzw. den Sicherheitsdienstleister nicht mehr gewährleistet sei.

Es stellt sich daher die Frage, ob und in welchem Umfang die Sicherheitswirtschaft generell ihre Aufträge auch unter den Rahmenbedingungen einer Krise wahrnehmen kann. Zugleich ist zu hinterfragen, wie sich die Krise auf das Auftragsvolumen der Branche auswirkt, welchen Umfang der Wegfall von Aufträgen durch abgesagte Veranstaltungen oder geschlossene Liegenschaften hat und ob gegebenenfalls neue Aufträge in systemrelevanten Wirtschaftszweigen oder zur Kontrolle beschlossener Verhaltensweisen im öffentlichen Raum die Ausfälle kompensieren können.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Schlussfolgerungen aus der aktuellen Krise für die Rolle der Sicherheitswirtschaft in der Sicherheitsarchitektur gezogen werden können. Moderne Industriegesellschaften sind einer Vielzahl von Risiken ausgesetzt. Entsprechend wird es nach der Bewältigung der aktuellen Pandemie auch darum gehen, Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung der nationalen Risikovorsorge und Weiterentwicklung des Bevölkerungsschutzes zu ziehen.

In den vergangenen Jahren stellte sich im Zusammenhang mit dem Bevölkerungsschutz die Frage, wie das relevante Akteursnetzwerk qualitativ und quantitativ im Hinblick auf komplexe und umfassende Krisen zukunftsfähig aufgestellt werden könne. Eine besondere Herausforderung bildet dabei der überwiegend auf dem Ehrenamt basierende und dadurch für demographische Entwicklungen anfällige Personalkörper der Organisationen im Bevölkerungsschutz. Hier könnte eine zielgerichtete Unterstützung durch die Sicherheitswirtschaft wirksamer und erfolgreicher sein als die Adhoc-Einbindung freiwilliger ungebundener Helfer.Dies würde allerdings voraussetzen, dass die Sicherheitswirtschaft selbst resilient gegenüber den Folgen einer Krise ist, über freie Ressourcen verfügt und diese kurzfristig einsetzen kann.

Umfrage zur Lage der Sicherheitswirtschaft
Im Folgenden werden Ergebnisse einer Umfrage zum Potenzial der Sicherheitswirtschaft in der Corona-Krise dargestellt. Die Umfrage richtete sich an Führungskräfte der Sicherheitswirtschaft und wurde im Zeitraum vom 09.04.2020 bis 29.04.2020 als Onlinebefragung durchgeführt. Der Link zur Umfrage wurde u.a. über die Website der NBS sowie über die Verbände Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) und den Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) veröffentlicht. Insgesamt konnten Antworten von 71 Teilnehmern ausgewertet werden. Den Teilnehmern blieb überlassen, ob und welche Fragen sie beantworten. Daten wurden ausgewertet, wenn mindestens eine Frage zum Verlauf der Corona-Krise beantwortet wurde, entsprechend schwankt die Anzahl der jeweils abgegebenen Antworten. Die Umfrage umfasste insgesamt 20 Fragestellungen, bei einigen Fragen waren mehrere
Antworten möglich. Im Hinblick auf das Studiendesign und die Teilnehmerzahl handelt es sich um einen explorativen Ansatz zur Generierung weiterer Hypothesen.

Die durch die Teilnehmer repräsentierten Aufgabenbereiche entsprachen der Vielfalt der Sicherheitsbranche, wobei es einen deutlichen Schwerpunkt im Aufgabenbereich Objektschutz gab. Da sich die Umfrage gleichzeitig an Vertreter von Dienstleistungsunternehmen und Unternehmenssicherheit richtete, wurde zur quantitativen Beschreibung der beteiligten Unternehmen nach der Anzahl der konkret mit Sicherheitsaufgaben befassten Mitarbeiter gefragt. Die Bandbreite reichte hier von einer geringen Anzahl (1–5) bis zu über 500 Mitarbeitern. Die meisten Teilnehmer gaben an, in Unternehmen tätig zu sein, in denen über 200 bzw. mehr als 500 Mitarbeiter mit operativen Sicherheitsaufgaben betraut seien.

Ergebnisse
Die Ergebnisse der Umfrage finden Sie unter www.econstor.eu/ bitstream/10419/218849/1/Workingpaper-Leistungsfaehigkeitder-Sicherheitswirtschaft-in-der-Krise.pdf ab Seite 9.

Fazit
Die Umfrage bestätigt die Annahme, dass die Sicherheitswirtschaft mittelbar und unmittelbar stark durch die Corona-Krise und die damit verbundenen Einschränkungen betroffen ist. Zumindest innerhalb der Stichprobe bezieht sich dies jedoch nicht auf einen überhohen Krankenstand, wozu auch die angesichts der zwischenzeitlichen Versorgungslage gute Ausstattung mit Schutzausrüstung bzw. organisatorische Maßnahmen beigetragen haben könnten. Starke Auswirkungen gibt es dagegen durch den Wegfall
von Aufgaben und Aufträgen. Diese können auch durch das Entstehen neuer Sicherheits- und Dienstleistungsbedarfe infolge der Corona-Regelungen scheinbar nicht vollumfänglich kompensiert werden. Dabei scheinen die Unternehmen zuversichtlich, ihre Leistungsfähigkeit quantitativ durch Einsatz zusätzlicher Personalressourcen sogar ausweiten zu können. Bezüglich der qualitativen Flexibilität, neue Aufgaben zu übernehmen, scheint es dagegen einschränkende Faktoren zu geben, die sowohl in der Innovationsfähigkeit der Unternehmen, starren Rahmenbedingungen oder fehlender Entscheidungsfähigkeit auf Kundenseiten verortet sein könnten.

Widersprüchlich erscheinen die Nennung einer möglichen Forcierung von Neu einstellungen, die Einordnung fehlender Unterrichtung und Sachkunde nach § 34a GewO und die Angabe, dass überwiegend Personal mit Unterrichtung und Sachkunde durch die weggefallenen Aufträge betroffen sei. Hier sind – auch im Hinblick auf die Diskussion um notwendige Qualifikationen für bestimmte neue Aufgaben etwa in Supermärkten, die branchenüblichen, an eine kurzfristige Qualifizierung bei der IHK gebundenen Personalgewinnungsprozesse oder die nach wie vor bestehenden Schwierigkeiten in der Registrierung qualifizierten Personals im zentralen Bewachungsregister – weitere Betrachtungen notwendig.

Bezogen auf die Leistungsfähigkeit der Sicherheitswirtschaft insgesamt deuten die Ergebnisse der Umfrage darauf hin, dass die Sicherheitswirtschaft in ihrer Leistungsfähigkeit nicht nur nicht wesentlich eingeschränkt sein könnte, sondern auch ein darüber hinausgehendes Potenzial besitzt. Wird der Auflösungsgrad der Kategorisierung der Auftraggeber für neue Aufgaben verändert und werden die unterschiedlichen Behörden, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen im weitesten Sinne alle zu den Kritischen Infrastrukturen hinzugerechnet, so zeigt sich, welche wichtige Rolle der Sicherheitswirtschaft gerade in der Bewältigung einer entsprechenden Krise zukommen könnte.

Im Fokus künftiger Betrachtungen sollte weniger die Planung der Ablösung von Unternehmen der Sicherheitswirtschaft stehen, sondern die Frage, wie deren Potenzial noch zielgenauer zur Unterstützung einer Krisenbewältigung eingesetzt werden könnte. Entsprechende Überlegungen sollten in die Diskussionen zum Sicherheitsdienstleistungsgesetz und zur Weiterentwicklung des Bevölkerungsschutzes einfließen. Die derartige verstärkte Einbindung der Sicherheitswirtschaft würde allerdings zum einen die Verringerung bestehender Hürden, zum anderen aber auch eine nachhaltige Lösung der andauernden Kritikpunkte im Bereich der Qualifizierung und Qualitätssicherung voraussetzen